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gorden.staupitz.de,
eine Initiative von:

Andreas Brettin

 

Flucht 1945

Eine Originalerzählung mit der freundlichen Genehmigung von Hartmut Wintsche, vielen Dank.

Vorbemerkung:

Die Propaganda im Nationalsozialismus verbreitete in der Bevölkerung große Furcht vor der Roten Armee. Es wurde das Bild des "bolschewistischen Untermenschen" gezeichnet, der grausam Rache an der Zivilbevölkerung nehmen wird. Beim Heranrücken der sowjetischen Front verbreitete sich unter der Bevölkerung große Angst vor den russischen Soldaten. Seit Ende 1944 waren große Flüchtlingstrecks aus den ehemaligen Ostgebieten in Richtung Westen unterwegs, die Strapazen und Leiden dieser Menschen sind in Literatur und Filmen geschildert worden. In unserer Region flohen in den Dörfern zahlreiche Menschen vor der sowjetischen Armee in Richtung Westen, wo die alliierten Armeen in Richtung EIbe vorstießen. Am 22. April abends verließen Staupitzer Bewohner mit Gespannen ihr Dorf. Mein Vater, Erich Wintsche, damals Lehrer in Staupitz, machte Notizen über diese Tage. Die etwas später gemachte Niederschrift war für uns Kinder gedacht. Die Formulierungen sind dadurch mit persönlichen Anreden und Bezeichnungen "ihr" "Mutti" usw. Um das Original nicht zu verändern habe ich dies so übernommen. Im Vergleich zu den tragischen Erlebnissen, die viele Menschen beim Zusammenbruch 1945 erleiden mussten, war diese Flucht glücklicherweise ohne einschneidende und schlimme Erlebnisse, aber von Strapazen gezeichnet. Ich war mir auch unschlüssig, diese Aufzeichnungen weiterzugeben, da sie nur für die Familie gedacht waren und der historische Wert für andere nicht besonders hoch ist. Da aber mehrere Staupitzer Familien beteiligt waren, ist diese Schilderung doch eine kleiner Abschnitt aus der Geschichte meines Geburtsortes. Eine Namensaufstellung der beteiligten Staupitzer ist nicht vorhanden, es werden im Text aber Namen genannt. Augenzeugen wird es bald immer weniger geben, denn im Jahr 2015 blicken wir 70 Jahre auf diese Ereignisse zurück. Ich selbst war damals 5 Jahre. Die jungen Frauen und Mädchen, die diese Flucht erlebten, sind vermutlich über 80 Jahre. Das ist sicher ein Grund, doch ein Exemplar der Gemeinde Staupitz zu überlassen.

Anmerkung:

Die Uhrzeitangaben sind nach früherer Gewohnheit nicht korrekt z.B. 9 Uhr (abends) statt 21.00 Uhr. Die Orte habe ich durch Schrägschrift hervorgehoben und in einer Karte z.T. gekennzeichnet. Der Treck kehrte erst am 18. Mai zurück.

Hartmut Wintsche

Es war an einem Sonnabend, dem 21. April 1945. Schon in den Tagen vorher hatten wir, besonders am frühen Morgen, den Kanonendonner aus dem Osten gehört, der uns das Näherkommen der Front anzeigte. Am Mittwoch war für den Volkssturm Großalarm, und die Schu1e wurde geschlossen. Die Erregung der Leute war groß. Ich war Zugführer im 2. Aufgebot und hatte weitere Befehle abzuwarten, die mich aber glücklicherweise nie erreichten. An und für sich glaubte kein Mensch, dass durch den Volks sturm, der zum größten Teil aus wehruntauglichen und unausgebildeten Leuten bestand, die noch dazu keine Waffen besaßen, eine Kriegswende herbeigeführt werden könnte. Am Freitag war SS gekommen, eine Nachschubeinheit der Division .Frundsberg". Ein Sturmführer hatte sich bei uns einquartiert. Am Sonnabend, gegen halb 6 wurden wir durch Alarm geweckt. Die SS sollte abrücken. Sie waren bereit, Zivilisten mitzunehmen, die in der Schule einquartiert waren ( Frau M. mit ihren Kindern aus dem Rheinland, Tante G. und Tante 1. mit Kindern und auch Oma aus Guben.) Sie hatten einen großen Omnibus und die Fahrräder konnten auf dem Dach festgebunden werden. Ich durfte als Volkssturmmann Staupitz nicht verlassen. Den ganzen Tag zogen durch das Dorf Flüchtlinge, Soldaten, Volkssturmmänner in Uniform und auch Gefangene. Im Osten und Nordosten sah man Rauchwolken, die erkennen ließen, dass die Front zwar näher kam, der Hauptstoß aber gegen Berlin gerichtet war. Auch einzelne Panzer rollten durch das Dorf in Richtung Westen, ebenfalls mit Flüchtlingen besetzt.

Inzwischen wurde die Stimmung im Dorfe immer nervöser. Die Mädchen waren größtenteils geflüchtet. Wir hatten eigentlich nicht die Absicht, noch zu gehen, sondern wollten, falls das Dorf unter Beschuss käme, in den Wald flüchten. Nachmittag gegen 5 Uhr standen wir an der Braukrugecke, da rief mich Frau Wachs hinüber und bot uns an, dass Ihr beiden auf ihrem Wagen unterkommen könntet, einen Handwagen könnten wir anhängen, und dann sollten wir noch unserer Räder mitnehmen. In diesem Augenblick entschlossen wir uns mit dem Treck, zu dem noch Keils (Richters), Kruligks u.a. gehörten, uns auf den Weg zu machen. Wir nahmen einen Handwagen mit 5 Koffern und Fahrräder mit Gepäck mit. Inzwischen fing es an zu regnen, Gerüchte kamen auf, dass die Russen schon in Finsterwalde wären. Nun sollten wir von allem Abschied nehmen, wir wussten nicht, ob wir wieder zurückkommen würden. Wir schlossen die Fensterläden und die Haustüren. Den Schlüssel trug ich zum Nachbar Schneider und dann fuhren wir zu Wachses. Gegen halb 9 setzte sich der der Treck in Bewegung. Familie Wachs hatten 2 Wagen mit 3 Pferden. Auf einem der Wagen, auf dem auch Betten waren, wurdet ihr untergebracht. Bei leichtem Regen fuhren wir in Richtung Gorden, um dann über Elsterwerda zunächst bis Stolzenhain zu gelangen. Hier hatten Mehles Verwandte.

Als wir hinter Gorden waren, drang die Nachricht zu uns, dass die Elsterbrücke
nachts um 2 Uhr gesprengt werden sollte. Bei dem zu er
wartenden Andrang schien es für uns aussichtslos, die Elster noch rechtzeitig zu überqueren. Wir drehten wieder um und wollten zurück, die Meinungen waren geteilt. Schließlich wendeten wir noch einmal und fuhren weiter, wir wollten nichts unversucht lassen. In der Nähe der .Jvluna" versperrte eine schwere Zugmaschine den Weg, die ein Geschütz oder einen Panzer ins Schlepp nehmen sollte. Nach längerer Verzögerung konnten wir weiterfahren. Ein Meldereiter, der uns von hinten einholte, erteilte uns den Auftrag, an der Brücke zu melden, dass noch eine Kolonne von ungefähr 100 Fahrzeugen hinter uns komme und die Sprengung hinausgeschoben werden sollte. Wir passierten
Hohenleipisch und fuhren ins Tal hinab, ungefähr bis zur Stelle, wo die Bahn von Plessa die Straße überquert. Hier stoppte die Kolonne, und es ging von nun an nur noch schrittweise vorwärts. Von Osten her, von Kahla-Plessa , bewegte sich ebenfalls eine lange Reihe von Fahrzeugen, die sich mit unserer vereinigten und die Straßen vollends verstopfte. Daneben rasselten fortwährend motorisierte und bespannte Militärfahrzeuge an uns vorbei, die ebenfalls der Brücke zustrebten.

Wir hatten die Räder an die Chausseebäume gelehnt und froren bei Wind und leichtem NieseIregen. Inzwischen gingen über der Muna gewaltige Feuergarben hoch, und donnerartige Schläge zeigten an, dass die Munitionsvorräte gesprengt wurden. Um diese Zeit kam auch Bernhard Krampe mit dem Rad an uns vorbei. Ich fragte ihn, wie es in Staupitz aussähe. Er meinte, er sei gegen 11 Uhr aus Staupitz herausgefahren und das ganze Dorf wäre leer gewesen. So standen wir Stunde um Stunde. Erst als es vollkommen hell war, setzte sich unsere Kolonne in Bewegung, und wir zogen durch die Stadt und über die Brücke. Hinter Krauschütz bogen wir rechts ab, kamen durch das kurz vorher schwer zerstörte Kotschka und gelangten nach einer Stunde nach Stolzenhain. Inzwischen war die Elsterbrücke gesprengt worden. In Stolzenhain standen die Volkssturmmänner noch an den Panzersperren Wache. Auf dem Hof von Mehles Verwandten konnten wir nicht mehr unterkommen. Wir rasteten einige Stunden und zogen gegen Mittag weiter. Ich hatte Karten und konnte den Weg ungefähr feststellen. Hinter uns waren Einschläge und Rauchsäulen zu sehen, Kradfahrer fuhren durchs Gelände und beobachteten. Wir wollten nach Strehla und dort mit der Fähre über die EIbe setzen. Ich fuhr etwas voraus und kam nach dem vor uns liegenden Dorf, es muss Spansberg
gewesen sein
,
das einen ausgestorbenen Eindruck machte. Von den verbliebenen Einwohnern, die in aller Hast beim Packen waren und auch aufbrechen wollten, erfuhr ich, dass die Fähre bei Strehla nicht mehr übersetzen sollte. Wir schwenkten also ab nach Norden, um über Nieska die Straße nach Mühlberg zu erreichen. Auch hier strömte ein Flüchtlingszug ununterbrochen nach Westen, zu Fuß, zu Rad, mit Handwagen, mit Pferdewagen; alle ohne Vorstellung von dem, was die Zukunft bringen sollte. In Mühlberg wurde uns von der Polizei gleich am Stadteingang zugerufen, dass die Fähre gesperrt sei und wir weiter müssten nach Belgern. Wir hielten einen Augenblick an, um unsere Enttäuschung abklingen zu lassen. In einem Haus erbat ich etwas warmes Wasser. Wir wollten damit die Milch erwärmen, die Mutti von Staupitz aus immer noch in einer Kanne am Rad mit sich führte. Dann ging es wieder weiter in endlosem Zuge durch die Dörfer, bis wir gegen Abend, es war am Sonntagabend, an die Straßenkreuzung kamen, wo die Straße links nach dem Elbübergang bei Belgern abbog. Von rechts kamen endlose Kolonnen von Militärfahrzeugen. Die Wehrmacht regelte den Verkehr. Der diensttuende Feldwebel hatte nicht die geringste Lust, uns nach der Fähre abbiegen zu lassen, sondern wir mussten geradeaus über die Kreuzung die Straße weiterziehen. Er war furchtbar aufgeregt, schrie herum und drohte jeden zu erschießen, der seinen Anordnungen nicht Folge leistete.

Während wir auf der anderen Seite zögernd weiterzogen, kam uns eine Reihe von Militärfahrzeugen entgegen, deren Spitze an der Kreuzung halten musste. Kurz entschlossen drehten wir um und reihten uns zwischen die Wehrmacht. Bald setzte sich die Reihe in Bewegung, um im Trab ging es rechts um die Ecke. Wir atmeten auf; denn nun, so glaubten wir, könnte es nur noch kurze Zeit dauern, und wir würden über die EIbe gehen. Aber schon einige Meter weiter hielten wir an. Wir standen Stunde um Stunde. Es wurde Nacht. Der Wind pfiff kalt durch das Elbtal, es fmg an zu regnen. Wir hüllten uns in Mäntel und suchten hinter den Wagen Schutz. Es mochte Mitternacht sein, da hörte ich, wie ein Offizier an den Kolonnen entlang ging und rief: "Alle Formationen, die übersetzen wollen, müssen vorher dem General Scherer gemeldet werden." Wir warteten weiter. Dann kamen auf einmal Reiter zurück, es waren Freiwillige des russischen Generals Wlassow, die mit der deutschen Armee kämpften. Andere Truppen folgten, auch Zivil, Wagen um Wagen kam zurück. Es hieß, die Fähre wäre entzwei. Ich aber hatte das Gefühl, dass die Fähre einfach gesperrt worden war. Auch wir mussten wenden. Es gab das Gerücht, dass Volkssturmmänner und Hitlerjugend die EIbe überhaupt nicht überqueren sollten. Wir wollten uns Quartier suchen auf einem Gutshof, der an der Straße nach Torgau lag. Es kann nicht weit von der oben erwähnten Straßenkreuzung gewesen sein. Wir fanden aber weiter nichts als einen Platz, auf dem Pferd und Wagen stehen konnten. Es zog gewaltig, und wir froren. Wir durchsuchten alle Räume, um ein Nachtlager zu fmden. Wir fanden nur Schuppen mit Maschinen oder schmutzige Ställe. Aber da standen noch Baracken mit einem Drahtzaun herum. Hier saßen Wlassow- Truppen bei ihren Wodkaflaschen. Doch es war warm hier, und wir gesellten uns zu ihnen. Wir hockten auf ihren Bänken und ruhten 1- 2 Stunden. Einige legten sich sogar auf die Pritschen. Gegen 4 Uhr mag es gewesen sein , da donnerte eine Frau gegen die Fensterläden und alarmierte die Soldaten. Auch wir machten uns fertig und fuhren, es war noch fmster, in Richtung Torgau. Es hieß zwar, dass auch die Fähre bei Belgern wieder übersetzt, aber wir hatten kein Vertrauen mehr. Wagen hinter Wagen, dazwischen wir mit unseren Rädern, so trotteten wir weiter. Hinter uns fuhr Herr Kruligk mit einem Schimmel, ich musste oft Signal geben, dass er nicht unseren Handwagen entzwei fährt. Wir kamen nur stockend vorwärts. Uns entgegen zogen Soldaten. Wir wussten nicht, ob wir in die Front hineinfuhren oder uns entfernten. Kettenfahrzeuge rasselten in der Ferne. Mit kam es vor, als ob wir mehr nach Nordosten marschierten als nach Nordwesten. Nach einiger Zeit kamen wir an einer großen Blinkstation vorbei, die in einem Industriegebäude untergebracht war. Abwechselnd blitzte eins oder mehrere der großen Fenster auf und blendete uns vorübergehend. Endlich bogen wir etwas nach Nordwesten ein. Die Dämmerung kam allmählich, und Torgau konnte nicht mehr fern sein. Als es schon ganz hell war, näherten wir uns einer Straßenkreuzung, um hier nach Torgau abzubiegen und über die EIbe zu gelangen. Jedoch mit derselben Unerbittlichkeit wie bei Mühlberg und Belgern Stand hier der Militärposten und wies uns weiter zur nächsten Übergangsstelle Prettin. Ich konnte das Gefühl nicht loswerden, dass man nur noch die Wehrmacht retten wollte. Es war, wie man jetzt übersehen konnte, ein kilometerlanger Treck.
Menschen und Tiere quälten sich nun weiter. Die abermalige Enttäuschung hatte uns ie letzte Kraft genommen. Neben mir ging Inge Schneider und ließ den Kopf gewaltig hängen. Hinter uns lärmte ein Trecker, stoppte und fuhr wieder an, als wollte er unsere Nerven vollends zum Zerreißen bringen. Es war jetzt Montag, der 3. Tag und schon 2 Nächte ohne Ruhe, aber wir mussten weiter. Wieder ging es bergauf, bergab durch größere und kleinere Dörfer. Leute, die auf den Dorfstraßen standen, lachten uns aus, indem sie uns bedeuteten, was wir denn an der EIbe wollten, ob wir denn dort 5 Tage warten wollten. Keiner wusste, ob dort eine Fähre oder eine Brücke wäre. Ich vertrat jedoch den Standpunkt, dass wir bis an die EIbe heranfahren müssten und nichts unversucht lassen dürften, um unser Ziel zu erreichen. Im Laufe des Vormittags fuhren wir durch ein Dorf, das etwas bergigen Charakter hatte. Die Leute riefen uns zu, wir sollten schnell weiterfahren, weil es bald "blauen Dunst" gäbe, sie meinten die Flieger. Gegen 10 oder 11 Uhr bogen wir links ab, in eine Waldstraße. Nach der Karte konnte
Prettin nicht mehr weit sein, und auch das Gelände an, dass wir ins Elbtaleinfuhren.

Ich wollte sehen, wie der Übergang vor sich gehen würde und ob eine Brücke da sei. Deshalb fuhr ich mit dem Rad voraus, erreichte bald Prettin und wollte bis an die EIbe. Kurz vorher traf ich einige von unseren Frauen, die mir sagten, dass eine schöne Brücke dort sei und die Wagen schnell herüberführen. Ich kehrte zum Treck mit der Hoffnung zurück, gegen Mittag über die EIbe zu gelangen. So kam es dann auch. 30 - 40 Gefangene halfen die Wagen am jenseitigen Ufer von der Brücke zu schieben Es war eine feste Pontonbrücke, die Wagen rollten ununterbrochen hinüber. Gegen 12.30 Uhr hatten wir die Straße jenseits der EIbe erreicht und sahen vor uns das Städtchen Dommitzsch. Wir atmeten auf, denn die EIbe lag nun hinter uns. Mit jenem Gefühl der Beruhigung stellte sich aber auch ein großes Schlafbedürfnis ein, gegen das ich mich kaum wehren konnte. Wir fuhren in die Stadt hinauf und hielten auf einem kleinen Platz. Nach einer Pause bewegte sich die Wagenkolonne dann weiter in Richtung Proschwitz, das 2 km nordwestlich von Dommitzsch und unmittelbar an der EIbe lag. Hier legte ich mich auf Keils Wagen und schlief 1 - 2 Stunden. Die folgende Nacht brachten wir in einer Scheune zu. Die Nach war unruhig. "Die Russen kommen!" "Es brennt!" "Wir müssen weiter!" so riefen die Mädchen immer wieder von Zeit zu Zeit und konnten nicht zur Ruhe kommen. Wir hörten alles im Halbschlaf. Am anderen Morgen ging ich in ein kleines Nebenhaus, wo eine Flüchtlingsfamilie wohnte, um mich dort zu rasieren. Dabei hörte ich im Radio, dass schon in den Straßen von Berlin gekämpft wurde. Nach einer Stunde zogen wir weiter über Wärblitz nach Dahlenberg. In Wörblitz versuchte Herr Kruligk noch ein Hufeisen in Ordnung bringen zu lassen - vergebens. Dahlenberg, ein kleines abgelegenes Gutsdorf , wurde ebenfalls von einem Strom von Flüchtlingen durchzogen. Es gab jetzt Gerüchte über einen Waffenstillstand. Jeder hatte ein anderes Ziel ; einer wollte nach Schmiedeberg, dort sollte ein Auffanglager von der NSV sein, ein anderer nach Roitzsch, das etwas abseits lag. Wir entschieden uns für Falkenberg in der Nähe von Trossin. Ein Einwohner wies uns einen Feldweg, der aber bald endete. Wir mussten ein Stück über Felder fahren und uns langsam nach Falkenberg "durchwühlen". Während dieser Zeit kreiste hoch über uns ein russischer Aufklärer. Als wir den Dorfeingang erreicht hatten, fuhr ich ein Stück voraus ins Dorf, um eine Unterkunft zu suchen. Wir fanden auch eine Scheune, die gerade geräumt wurde. Inzwischen kamen einige Frauen nach und sagten uns, dass sie schon ein Unterkommen gefunden hätten. Auf dem hinteren Gutshof standen die Wagen, wir wohnten in der Scheune. Am Nachmittag gab es noch Lebensmittel aus einem Lager, das geräumt wurde. Wir waren alle sehr erschöpft, Mutti musste mit den primitivsten Mitteln noch etwas für uns kochen. Ich fuhr gegen Abend mit Herrn Wachs und Herrn Lehmann weiter nach Westen, um den Weg zu erkunden. Wir gelangten über Kossa nach Authausen. Hier las ich einen Anschlag, dass bei Bautzen eine russische Durchbruchsgruppe abgeschnitten sei. Alles Trugbilder! Von Authausen fuhren wir einen Landweg zurück, der direkt nach Falkenberg führte. ier kamen wir gerade noch vor Einbruch der Finsternis an. Am anderen Morgen, es war Mittwoch, der 25. April, wurde Falkenberg geräumt. Die Russen sollten schon über die EIbe gesetzt sein. Wir fuhren den direkten Landweg nach Authausen. Über uns kreiste wieder ein russischer Aufklärer. Wir waren gerade im Dorf, da dröhnten plötzlich Explosionen wie von eingeschlagenen Bomben. Es entstand eine Verwirrung, die Kinder wurden von den Wagen gerissen, und wir suchten Schutz hinter Mauem und Häusern. Nachher stellte sich heraus, dass die HJ -Flak nach dem russischen Flieger geschossen hatte. Nachdem sich alles beruhigt hatte, zogen wir weiter. Die kleine Stadt Düben war unser Ziel. Bei hellem Sonnenschein fuhren wir auf der Straße Authausen-Gorschlitz. Da lösten sich plötzlich im Weste Schüsse und Granaten rauschten über uns hinweg und schlugen hinter uns ein. Es waren nur ca. 10 Schuss. Es gab Tote und Verwundete. Mutti sah nachher einen verletzten Jungen, ein anderer wurde einige Tage später in Falkenberg begraben. Wir fuhren weiter, eine endlose Kolonne, durch Görschlitz und dann rechts abbiegend in Richtung Düben. Nach einiger Zeit stoppte die Kolonne, wir bogen in ein kleines Waldstück ab. Ruth fuhr hinunter zum amerikanischen Posten, der ihr freundlich Auskunft gab, dass in 3 Tagen die Brücke über die Mulde fertig sei, dann könnten wir hinüber. Wir waren froh. Die Nacht verbrachten wir unter freiem Himmel. Aber schon am nächsten Tag warfen Flieger mehrmals Flugblätter ab, in denen wir aufgefordert wurden, in die Dörfer zurückzukehren, weil die Alliierten keinen Krieg gegen die Zivilbevölkerung führten. Jeder Übergang über die Mulde wurde verboten. Wir zögerten zunächst noch mit der Umkehr und blieben. Eine Gruppe von Soldaten kam zu uns, es waren die Pioniere, welche die Torgauer Brücke gesprengt hatten. Sie berieten lange, ob sie sich Zivil besorgen oder zum
Amerikaner überlaufen sollten. Sie ergaben sich dann in voller Ausrüstung dem
Amerikaner. Am Abend brachte Herr Lehmann etwas Stroh für die Nacht, so dass wir ein wenig wärmer schlafen konnten. Nach 3 Tagen endlich entschlossen wir uns
zur Umkehr in Richtung Falkenberg. Gegen Abend gingen wir ins Dorf, um uns ein Quartier zu suchen. Wir fragten auch in der Schule an. Hier lag der Klassenraum voll von Flüchtlingen. Die Lehrerin, Frau R. erbot sich aber freundlicherweise, zu versuchen, für uns etwas ausfindig zu machen. Am anderem Morgen kam sie auch und lud uns ein, in die Schule zu ziehen. Hier bekamen wir oben ein Zimmer mit Tisch und Stühlen, einer Schulbank und ein paar Matratzen auf dem Fußboden. Hier verbrachten wir die folgenden Tage. Die Verbindung mit den Staupitzem vom Gut wurde aufrecht erhalten. Sie mussten in der Scheune nächtigen und kochten unter freiem Himmel. Hier war unterdessen der Plan gereift, vom Gut ein Schwein zu erwerben und zu schlachten. Dieser Plan wurde auch umgehend ausgeführt, Fleisch und Fett verteilt, so dass wir in dieser Hinsicht zunächst keine Sorgen harten. Was sollte aber nun weiter werden ? Einige amerikanische Wagen fuhren durch die Gegend und sorgten dafür, dass die Panzersperren weggeräumt wurden. Aber eines Tages kamen von der anderen Seite russische Wagen. Dann legten sie Fernsprechleitungen, und gegen Abend waren sie da. Überall drangen sie in die Gehöfte und suchten sich Quartier. Uns schützte die voll belegte Schulstube und die "treue Anna", eine Polin, die bei Frau R. das Haus besorgte. Aber eines Tages kam doch ein Russe rauf zu uns, er beobachte uns nur, Ruthchen schien ihm zu gefallen. Der ganze Trupp zog aber dann weiter. In der Folgezeit zogen laufend größere oder kleinere Kolonnen durch das Dorf. Als an einem Spätnachmittag wieder eine größere Wagenkolonne hielt, kamen 2 Russen bis in unsere Stube herauf. Ihr beiden Kleinen saßet schon auf eurem Lager und solltet schlafen. Ruthchen versteckte sich unter den Stepdecken. Einer von ihnen schlug mit dem Ochsenziemer auf den Tisch und verlangte Uhren. Mutti gab ihm eine Armbanduhr, die aber stehengeblieben war. Er setzte sich an den Tisch und fing an, mit dem Taschenmesser darin herumzustochern. Inzwischen waren Anna und Frau R. heraufgekommen, und Anna begann ein Gespräch in russisch. Er warf die Uhr auf den Tisch und ging. Wir waren froh, dass sie unser Gepäck nicht durchsucht hatten. Die Tage vergingen und wir sprachen von der Heimkehr, aber wie über die EIbe kommen? Die Brücken und die großen Fähren waren gesprengt. Schließlich beschlossen wir
, bei dem russischen ommandanten, es sollte so etwas geben, anzufragen, wo eine Brücke über die EIbe führte. Anna, Mutti und ich suchten ihn auf. Wir fanden aber nur einige russische Soldaten, die auf den Betten und Sofas herumlagen. Sie waren betrunken und konnten uns keine richtige Auskunft geben. Inzwischen hatten wir gehört, dass bei D
ommitzsch eine Fähre übersetzte, aber der Andrang sehr groß sei. Trotzdem brachen wir am Morgen es 10.Mai, am Himmelfahrtstage, auf. Hartmut hielt sich am Handwagen fest und marschierte mit. Wir kamen aber nur bis zum Eingang der Stadt. Von hier aus erstreckte sich durch die ganze Stadt bis zur EIbe hinunter eine Kolonne von ca. 250 Wagen. Da jeden Tag nur 50-60 Wagen übergesetzt wurden, konnten wir uns errechnen, dass wir mindestens 5 Tage und 5 Nächte hätten auf der Straße verbringen müssen. Wir saßen unschlüssig am Straßenrand. Neben uns war ein Sägewerk oder Tischlerei. Eine Frage, ob wir hier vielleicht übernachten könnten, wurde abgewiesen. So kehrten wir um und waren Nachmittag wieder in Falkenberg. An den folgenden Tagen hörten wir, dass die Fähre weiter nach Süden, nach Elsnig, verlegt werden sollte und dort mittels Seilzug schneller arbeiten könnte.
Am Montag, dem
14.Mai, frühmorgens brachen wir zum zweiten mal auf, um nun endgültig unsere Heimreise anzutreten. Wir fuhren über Trossin, Vogelgesang und Elsnig bis ins Elbtal. Hier standen schon eine lange Kolonne von Wagen, die zum Teil von Dommitzsch heraufgekommen waren. Wir fädelten uns ein und verbrachten die erste Nach an einem Außendamm der EIbe. Abends kamen Russen, um Pferde oder Fahrräder zu beschlagnahmen. Auch Polen wollten uns mit Gewalt die Räder nehmen. Am Dienstag rückte die Kolonne langsam aber stetig vorwärts. Gegen mittag standen wir an der "alten EIbe". Russen kamen des Öfteren um die Flüchtlinge auszuplündern. Am Nachmittag gingen wir auf einem Steindamm über die "alte EIbe" und lagerten abends auf den Elbwiesen. Noch ganz spät kamen wieder Russen, um Pferde zu holen. Wir schliefen auf der nassen Wiese. Nachts hörten wir aus einem kleinen Deichhäuschen Hilferufe und Schüsse. Der Mittwoch brach an und musste nach unserer Berechnung den Übergang über die EIbe bringen. Noch einmal kamen 10- 12 Wagen mit Polen an uns vorbei, sie versuchten Mutti das Rad wegzunehmen, was ihnen aber durch die Hilfe der anderen Staupitzer nicht gelang. Gegen halb 6 Uhr hatten wir es geschafft. Mutti setzte zuerst mit euch über, wir folgten mit dem Wagen. Auf der anderen Seite hätten wir nun in Dautzschen übernachten können, denn eine Familie aus unserem Treck lud uns dazu ein, und es waren keine Russen da. Die Ortswache jedoch schilderte die Lage wegen der plündernden Polen als gefährlich und wies uns nach Züllsdorf, das nicht belegt wäre. Herr Wachs wollte weiter, andere wären geblieben, so machten wir uns auf den Weg, er war sandig und schlecht. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit herten wir uns Züllsdorf Als wir nun glaubten hier ein ruhiges Quartier zu finden, stellte sich
heraus, dass der ganze Ort voller Russen war. Es war inzwischen finster geworden, wir fuhren weiter, um uns im Wald einen Platz zu suchen. Es dauerte lange, ehe wir eine geeignete Stelle fanden. Richters Elfriede brachte uns noch etwas zu essen. Am anderem Morgen traten wir zu neuem Gewaltmarsch an und fuhren in Richtung
Beyern. Einmal mussten wir noch eine Panzersperre umfahren und brachen uns dabei eine Deichsel an. Wir kreuzten die Straße Torgau - Herzberg und kamen nach Beyern. , fuhren hinter dem Dorf entlang, um keine Russen zu treffen, trafen dann gerade welche, und erreichten gegen Mittag die Gegend von Falkenberg(Elster). Hier rasteten wir in einem Wäldchen, wuschen und und stärkten uns. Nach einigen Stunden fuhren wir weiter über Falkenberg, Uebigau , dann weiter Langennauendorf, Bahnhof Beutersitz, Wildgrube, Domsdorf Wir begegneten zahlreichen Russen, aber keiner tat uns etwas. Abends suchten wir uns ein Quartier im Wald bei Domsdorf. Ein Mann führte uns an einen sicheren Platz. Nachts wurden wir durch einen Gewitter- sturm aufgeschreckt. Es ging aber alles gut vorüber. Am Freitag, dem 18. Mai, traten wir nun zum letzten Marsch an. Wir mussten Staupitz noch an diesem Tage erreichen. Wir fuhren über Prestewitz, Thalberg und Theisa. Hier machten wir vor der Schule noch einmal Rast, um dann den langen Waldweg direkt nach Gorden einzuschlagen. Am Nachmittag gegen halb 3 traten wir dann aus dem Wald heraus und sahen Gorden vor uns liegen und in der Feme auch Staupitz. Panzer standen umher, aber Staupitz war nicht abgebrannt, wie ein Gerücht besagt hatte. Nur einige Scheunen standen nicht mehr. Hinter Gorden trafen wir Frau Bittner, die uns zurief, dass sie gestern unsere ganzen Möbel herausgeholt hätten. Wir fuhren bei Wachses in den Hof und gingen dann sofort zu unserer Wohnung. Aber welcher Anblick bot die Wohnung ! In den Stuben Stroh aufgeschüttet, die Schreibtischkästen umgeschüttet, die Gardinen und die Lampe samt Leitung im Esszimmer heruntergerissen, alle Räume waren total verschmutzt. Die beiden Sofas und die Standuhr fehlten. Nur die Bücher in meinem Bücherschrank standen noch geordnet. Es fehlten auch fast alle Betten und Bezüge, der Kleiderschrank war natürlich leer. Vor unserer Abreise hatten wir aber im Keller wertvollere Gegenstände ( Ge-
schirr, Bilder u.a. ) eingelagert und die Tür mit einem Küchenschrank zugestellt. Der Keller war glücklicherweise nicht entdeckt worden. Königs waren so freundlich und luden uns zum Essen ein . Mutti und ich fanden dort auch in den nächsten Tagen ein Nachtquartier. Frau Heinzig machte uns ein Bad zurecht, Ruth, Bärbel und Hartmut konnten dort schlafen. Die Leute in Staupitz waren noch verängstigt; denn es verging kaum eine Nacht, wo nicht Vieh aus den Ställen geholt wurde. Die jungen Mädchen hatten sich als alte Frauen verkleidet und schlichen hinter den Häusern entlang. Wenn die Dämmerung einsetzte, waren die Straßen wie ausgestorben.

Über die Vorgänge in Staupitz erfuhren wir kurz folgendes: Am Sonnabendabend waren wir geflüchtet, am Sonntagvormittag waren die Russen gekommen. Am Montag kam SS und es kam zu Gefechten, insbesondere mit einer Wagenkolonne, die zwischen Theißes und Czecks standen, bei denen Russen getötet wurden. Am Montagnachmittag warf ein russischer Flieger einige Bomben und beschoss das Dorf. Dabei gingen einige Scheunen in Flammen auf. Das Schulgebäude erhielt 5 unbedeutende Treffer. Die gefallenen 22 russischen Soldaten wurden in einem Massengrab auf dem Friedhof in der Nähe unseres Wohnhauses beerdigt. Am 10.September wurden die Leichen auf einen anderen Friedhof überführt. Nachdem ich im September vor einer politischen Kommission in Finsterwalde war, konnte ich am 1. Oktober wieder unterrichten. Der antifaschistische Ausschuss von Staupitz und der Bürgermeister, Herr M. (KPD-Mitglied), hatten sich für meine Weiterbeschäftigung eingesetzt, da ich erst sehr spät in die Partei eingetreten war, keine Parteifunktionen bekleidete, keine Uniform trug und keiner militaristischen Organisation angehörte. Am 31.12.45 wurden aber alle ehemaligen Parteimitglieder entlassen. Nun warte ich auf meine Wiedereinstellung.

Euer Vater.

Anmerkung von Hartmut Wintsche

Mein Vater wurde erst 1950 wieder eingestellt. Er war in Drahnsdorf, Kr. Luckau bis zu seinem Rentenalter als Unterstufenlehrer und Schulleiter tätig. Meine beiden Schwestern verstarben in Staupitz.

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